Bild-Bilder
Die von Thomas Jocher in seiner Malerei verwendeten Inkarnatfarben sowie die voluminösen polsterartigen Bildkörper lenken Körperliches in abstrahierte Bahnen und unterlaufen die Tradition der Figuration als Synonym für die abbildhafte Darstellung des menschlichen Körpers. Die Bilder verwandeln sich entweder zu Gegenständen mit skulpturalen Merkmalen oder sie suggerieren plastische und tiefenräumliche Illusionen, die die Rolle des Betrachters thematisieren, indem sie auf dessen eigenes Körper- und Raumwahrnehmen bezogen sind. So bilden Jochers Arbeiten jenen Referenzrahmen, innerhalb dessen sich die Erinnerung an den eigenen Körper und dessen im sozialen Körper verankerte Identität und deren Fragmentierung einstellen kann. Die perspektivische Ordnung der Gemälde saugt den Blick des Betrachters gleichsam an oder hält ihn auf Distanz. «Der Effekt ist in jedem Fall körperlich» (Jocher). Das Kunstwerk, das mit dem Blick auch den Körper des Betrachters «ergreift», ist also eines, das versucht, «den Blick zu überreden, den Körper ins Betrachten mitzunehmen» (Jocher). Der in der Produktion bewußt vollzogene Vorgriff auf Rezeptionsweisen bzw. die Kanalisierung des Blicks und des Körpers durch das Bild umschließt auch die Wahrnehmung des Bildes als Mobiliar und als dekorativen Bestandteil bildungs- und kulturbeflissener Wohnlichkeit. Diese Art der Bildfunktion zu explizieren, bedeutet wiederum den Sinn der Bilder von ihren soziokulturellen Rahmenbedingungen her zu beleuchten und diesen Rahmen des Bildes als einen seiner Inhalte zu setzen.
In den von Jocher als "Bilderbilder" bezeichneten Arbeiten werden der Bildkörper und die Malfläche selbst zum Thema der Malerei. Jocher malt in die Bilder deren eigenes Porträt, er kippt und dreht die Flächen der Malerei malerisch aus dem Lot, als ob sich das Bild im Bild nochmals von einer anderen Seite oder unter anderem Winkel zeigen würde und erzeugt damit zugleich perspektivische Fluchten und Faltungen, die an Fenster und scheinbare Öffnungen in der Wand gemahnen.Zwischen der realen Oberfläche des Bildes und ihrem gemalten Double spannt sich imaginärer Raum in perspektivischer Flucht auf. Von einem Punkt im Raum aus «stimmt» die perspektivische Ordnung des jeweiligen Bildes für den Betrachter. Dann stellt sich jene «zwingende Identifikation des Betrachters mit dem Betrachteten» ein, die aber zugleich als ein Konstrukt mit fingierten Realitäten durchschaubar ist. Die von ihren eigenen Gegebenheiten handelnde Malerei ist also auch hier zugleich auf den Betrachter und dessen Wahrnehmungserfahrungen bezogen.
Dem in den Raum auskragenden Bild als Körper, als Schwelle und imaginäres Fenster fügt sich im Oeuvre Jochers noch das zu Raumkonfigurationen umgestülpte Bild. Die über Scharniere zueinander geklappten Bildflächen formieren sich zu Gehäusen und Behausungen für den Körper des Betrachters. Fleischfarbig bemalt und nach innen gekehrt, führen diese Raumbilder Körperthematik und Betrachtereinbeziehung in extreme Nähe und spielen auf der Basis von Umstülpungen mit der Möglichkeit der Verschmelzung. Bilder, die als umgestülpte Körper mit ihren Häuten nach innen den Leib des Betrachters auch physisch aufzunehmen und zu umschließen imstande sind, definieren das Betrachten als ein Bewohnen. Der sich in den realen Raum des Bildes einschließende Betrachter verschwindet buchstäblich darin und zugleich das Bild aus seinem Blick. Es wird zu seiner zweiten Haut.
Rainer Fuchs
Text aus dem Katalog "Coming Up, Junge Kunst aus Österreich " Museum Moderner Kunst ,Wien.