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Ausstellung: Thomas Jocher: Unshaven Reality
(24.7./25.7. - 18.09.09)Interview /Gilla Lörcher
17.07.09G.L.:
Deine Arbeiten sind in einer sehr perfektionistischen Art gemalt. Welche Rolle spielt Perfektion bei Deinem Malprozess?T.J.:
Im Malprozess stört mich immer irgendetwas, wenn ich entweder eine Etappe beendet habe oder einen möglichen Endpunkt erreicht habe. Meistens hab ich auch nicht genug Abstand, um wirklich ein richtiges Urteil zu fällen, dann probier ich etwas und zerstöre oft etwas Vernünftiges. Aber will ich mich mit dem Vernünftigen abgeben? Der Prozess hat sich inzwischen zu einer Mischung aus Wagemut, Scheitern und Reparieren entwickelt. Da entstehen viele Schichten. Schlechte, die gute Schichten verdecken und dann wieder gute, die misslungene verbergen.Irgendwann habe ich mich entschlossen, zumindest beim selben Motiv zu bleiben, das ich so oft übereinander male bis es halbwegs stimmt oder eben interessanter als die Grundidee wird. Gleichzeitig wächst mit den Ölschichten auf der Leinwand eine Haut, die aus der Nähe eine sehr lebendige und durchaus sinnliche Konsistenz erreicht.
Früher hab ich diesen Vorgang in minimalistischer Weise spürbar machen wollen. Ich habe immer das Bild als einen mit meinem Körper kommunizierenden Körper konzipiert, als Behälter für den Körper des Betrachters, samt seinen Sehnsüchten. Das Bild als fiktive Fluchtmöglichkeit aus den 4 Wänden. Vielleicht erscheint darum das Plastische und Figürliche so vorrangig.
Ich weiß langsam dass die Bilder nie perfekt im Sinne meiner Ursprungsidee sein werden. Der Prozess zwischen der Idee und der Fertigstellung ist ja oft nicht sichtbar und schwierig nachzuvollziehen, aber da passieren die meisten Dinge die Spaß machen oder richtige Probleme und Ärger bringen. Manchmal verwandelt sich die Idee in ganz was anderes, das ist ja das interessante, da lerne ich und vergesse gleichzeitig.
G.L.:
Deine Arbeit "Devolver a lo desnudo su vello" als auch "Desenfreno" scheinen sowohl der Malerei als auch der Skulptur verpflichtet. Im Zentrum des "Devolver..."-Interieurbildes befindet sich ein Würstchengemenge, ins Absurde vergrößert. Ein vergrößertes Stillleben im Interieurbild , das mehr Skulptur sein will.Nach dem Portraitgenre (z.B. den Affenpotraits), bewegst Du Dich mit diesen Arbeiten eher zwischen Stillleben, Skulptur und Aktmalerei. Was reizt Dich an dem Genre-Mix? Oder welches Thema in diesem Genre-Mix interessiert Dich am meisten?
T.J.:
"Devolver..." ist ein Übergangskonzept zwischen meinen früheren Arbeiten, die etwas sehr Skulpturales hatten, und den aktuellen Landschafts- bzw. Umgebungsbildern.Bei den früheren Arbeiten ging es ausschließlich um die Figur, die aus jeglichem Zusammenhang herausgeschnitten war. Dort habe ich immer bewusst auf den Hintergrund verzichtet, um die Körperlichkeit, das Objekthafte und das Inhaltsvermögen hervorzuheben.
Bei den jüngsten Arbeiten ist inzwischen die Figur, der Körper verschwunden und der Hintergrund zu einer Bühne bzw. einem Ort mutiert, in dem nun mehr der Körper des Betrachters virtuell platz finden kann. Die Umgebung wird zur zweiten Haut. Und das Bild wird zum Behälter, nicht mehr die dargestellte Figur
"Devolver..." und "Desenfreno" sind traditionelle Bilder, wo Figur und Hintergrund mit leicht entrücktem Kontext eine traditionelle Geschichte erzählen. Vielleicht sind "Devolver" und "Desenfreno" die am wenigsten abstrakten meiner Arbeiten. Da prallen zwei offensichtliche Wirklichkeiten aufeinander. Da spielt die Fantasie des Betrachters die wichtigste Rolle. Wo ist man, wer ist man, was macht uns, wie tun wir...es ist schon kritisch, politisch, es geht um Überfluss und Banalität. Im Grunde sind sie Kollagen. Auch ein Genre.
Es stimmt, dass ich gerne alle Genres der Malerei unter einem Hut bringen möchte. In meinen früheren Arbeiten hatte ich immer vor, ein ideales Gemälde zu produzieren, das eine Abstraktion aller Genres, die die Malerei in der Geschichte generiert hat, verkörpern sollte. Jetzt bleibt mir immer ein Beigeschmack davon, aber ich bin nicht mehr so streng mit mir. Mischen ist immer gut, auch wenn man es nicht mehr so bewusst macht. Jetzt wo ich via Interieur bei der Landschaft gelandet bin schließt sich für mich ein großer Kreis.
G.L.:
Bei den Arbeiten "Devolver..." und "Desenfreno" ist das jeweilige Zentralmotiv isoliert und ins Absurde gesteigert... Bildhintergrund und Hauptmotiv werden geradezu befremdlich miteinander kombiniert.T.J.:
...Ja, so entsteht ein verstärkter Kontrast zwischen der realen Zweidimensionalität des Bildobjektes und der illusionistischen Dreidimensionalität des Bildgegenstandes. Mich hat der virtuelle Aspekt der Malerei, des Bildes, des Abbilds, das zweidimensionale Darstellen des Dreidimensionalen mehr gereizt als Dinge in den echten Raum zu stellen.Ich finde es sehr reizvoll, Gegenstände zu destillieren und sie bewusst mit anderen zu fusionieren zu abstoßenden bzw. anziehenden Hybriden: Blumen, Früchte, Pferd, Fisch, Würste und... anderes Gemüse..., im ersten Anschein sofort erkennbar, banal und dennoch einem mysteriösen unbestimmbaren Freiraum zwischen Realität und Unterbewusstem ausgeliefert.
G.L.:
Bei beiden Arbeiten geht es um eine übersteigerte Form der Präsentation des Objekts. Vielleicht um eine Plattform für Projektionen und Sehnsüchte? Vielleicht um Pornografie? Auf jeden Fall um eine Art von Peep-Show.T.J.:
... Ja, Peepshow trifft es wohl ganz gut. Ich finde diese begrenzten Räume entsprechen ja schon einem Bild, es ist die Form des Gemäldes und alles andere was man darin projizieren will ist der Inhalt. Man kann auch ganz passiv reinschauen und doch mitgenommen werden. Peepshow: man guckt und sehnt sich rein, man wird geil. Es geht um Ekstase, es ist Mystik.G.L.:
Was sind für Dich die 10 wichtigsten Begriffe, die Du mit Deiner Malerei verbunden wissen möchtest?T.J.:
Ich will mich nicht in Begriffen abgrenzen. Keywords vielleicht, mit denen Leute was Bestimmtes im Internet suchen und da schummelt sich ein Begriff rein, der mit meinen Bildern zu tun hat. Ich gebe den Begriff Porno rein, damit haben meine ausgestellten Bilder bestimmt zu tun. Es ist ein Näherkommen an das Persönliche, an das Private, das niemanden angeht. Eine Entblößung der nicht ganz erloschenen kindlichen Freude der Analphase. Vielleicht regt mich auch das freudsche Unterbewusstsein an. Es könnte auch Jesus Christus sein, der steht ja für die Kultur, in der ich aufgewachsen bin. Ich glaube nicht wirklich an Gott, aber ich glaube an das Glauben und ich stell mir eben all diese Fragen, was treibt mich...das ist mein Trieb. Das klingt alles nicht sehr ernst, aber es gehört immer ein wenig Humor dazu. Ich mag das Komische, das Absurde, den Gegensatz. Diese Begriffe sind alle brauchbare Transportmittel für meine Arbeiten.G.L.:
Welches Thema inspiriert Dich derzeit?T.J.:
Ich studiere nicht gerne bewusst. Mich inspirieren Begegnungen verschiedenster Arten. Aber nicht dass ich dann sofort ein Thema herausarbeite. Ich bin da oft vorsichtig, weil ich so beeinflussbar bin. Manchmal inspiriert es mich mehr, etwas versäumt zu haben als dass ich mich ärgere, nicht selber die Idee gehabt zu haben. Wahrnehmen ist mir sehr wichtig und das kann ich nicht kontrollieren.G.L.:
Welchen Alten Meister schätzt Du? Welche aktuelle Kunstrichtung fasziniert Dich besonders?T.J.:
Ich hab die Alten Meister erst sehr spät für mich entdeckt, erst nach meinem Kunststudium. Sie haben eine große Rolle in meiner Selbstfindung gespielt, es ist unheimlich aufregend ein altes Bild zu betrachten und manchmal das Gefühl zu haben mit dem Autor zu kommunizieren.Manchmal frag ich mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich bei einem Velasquez oder Rubens als Lehrling gearbeitet hätte. Wahrscheinlich hätte ich mehr gelernt als in der Meisterklasse in Wien. Andererseits war auch grad diese Skepsis, die ich dort entwickelt habe, der Motor für das, was ich jetzt mache.
Ich sehe gerne gute Filme, die haben so was hexenhaft Echtes, das ist schon Kunst manchmal. Außerdem ist alles Leinwand, wie man in Wien sagt, wenn etwas gut ist. Man sieht: das Medium Malerei ist zwar totgesagt, aber es lebt überall weiter.
G.L.:
Du bist auch Musiker. Welchen Einfluss hat Musikmachen auf Deine Malerei?T.J.:
Ich wäre gerne Musiker gewesen, hab mich früher als Autodidakt damit beschäftigt, es dann wieder aufgegeben. Nun mache ich Musik seit kurzem wieder so nebenbei. Musik zu machen - ist eine direktere Kommunikation. Man sitzt nicht alleine (außer wenn man übt). Man entwickelt mehr kollektiv und alles passiert in einem Moment und verstummt dann wieder. Ich mag diesen Ausgleich, das gibt mir Lust in beiden Richtungen. Einmal alleine mit dem Bild und dann eben nicht alleine mit Co-Musiker und dem Klang. Aber direkt hat es nicht miteinander zu tun. Ich glaube nicht, dass ich bei einem Trompetensolo plötzlich eine neue Idee für ein Bild habe. Es ist was anderes. Man könnte sicher genug Parallelen ziehen, aber das ist nicht was mich beschäftigt. Ich bin auch nur Solist, improvisiere zu einer Musik, die hauptsächlich mein Co-Musiker komponiert. Bei den Bildern bin ich allein zuständig, ich würde mich trotzdem eher Maler nennen. Ingres hatte auch eine Violine und ich bin bestimmt ein schlechterer Trompeter als Boris Vian.Musik während dem Malen zu hören, empfinde ich natürlich auch als sehr stimulierend.